Ostern 2012: Ein Selbstversuch


Einige wissen es, Egge mag Nachtreportagen. Er schreibt sie für die Zeitung und für APP-Magazine. Und viele sollten da auch bleiben. Nur ist es diesmal etwas anders. Zum einen ist Ostern. Und zum zweiten sind die Fotos von Agnieszka Krus ziemlich cool. Viel Spaß & Frohe Ostern.

Haken schlagen mit Jägermeister

Können süße Osterhasen in einem Brauhaus feiern ohne angebaggert zu werden? Bekommen sie im Hauptbahnhof tatsächlich frisch gepressten Möhrensaft? Und lässt man sie in einer Karaokebar den Titelsong der „Bugs Bunny Show“ singen? Ja, ja, ja. Aber glücklich macht das noch lange nicht. Ein Selbstversuch in Hannover – mit hängenden Schlappohren.

Auf Island gibt es eine merkwürdige Tradition. Denn immer wenn ein Schuljahrgang seinen Abschluss schafft, pilgern die Schüler aus dem ganze Land in die Hauptstadt Reykjavík, um symbolisch mit dem Bürgermeister anzustoßen.Weil dieser nicht alle Schüler empfangen kann – und weil es einfach Spaß macht – betrinken sich etliche junge Leute dann in den Straßen und tragen dabei tierische Ganzkörperkostüme. Schon am Nachmittag ziehen die menschlichen Kühe, Schafe und Riesenkatzen durch die Innenstadt und besaufen sich hemmungslos. Viele müssen sich schon am Abend tragen lassen, die Nacht erleben die meisten in Hauseingängen und an Tanzflächenränder. Schulabschlüsse auf fernen Inseln sind ein eigenartiges Unterfangen. Puh.

In Deutschland hat die Ganzkörperkostümierung eher religiösen Folklore- oder Karnevalscharakter. Zu Ostern oder zu Weihnachten zwängen sich vor allem klamme Studenten und zu nette Nachbarn in die Rollenklischees einer aufgeklärten Welt und verteilen als Weihnachtsmann oder Osterhase Geschenke. Zum Karneval eher Küsschen. Ansonsten lässt man Kostüme in Deutschland besser. Und überhaupt: Kostümträger in der Nacht sind komische Gestalten, denen man eher mit Skepsis begegnet. Entsprechend fällt meine Osternacht als Osterhase aus.

In einer kleinen Seitenstraße in der hannoverschen Innenstadt ziehe ich mich schnell um, als gelte es etwas Verbotenes zu machen. Aus einem Plastiksack entnehme ich meine Löffel, meinen kuscheligen Bauch, meine Blume, an der später forsche Jugendlichen ziehen möchten. Auf Pfoten mache ich mich auf den Weg zur Bank – auch ein Langohr braucht zum Feiern zunächst Geld. Mir begegnen die ersten Passanten. „Ey, Osterhase!“, raunt es mir entgegen. Hätte ich an diesem Abend jeweils einen Euro dafür bekommen, dass mir jemand sagt, wie ich heiße, ich könnte Apple übernehmen – auch wenn ich ja eher auf Mohrrüben stehe, ähem, entschuldigung, das Kostüm hinterlässt Eindruck. Einige machen Fotos von mir, viele lachen, andere entfernen sich rasch. Da gab es sicher ein paar negative Erfahrungen in der Kindheit, die nicht aufgearbeitet worden sind. Ich renne ihnen ein paar Meter hinterher, sie laufen weg.

In der Bank bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Darf man das überhaupt? Im Ganzkörperkostüm Geld abheben? Ich könnte ja jemanden überfallen. Die Beamten hinter den Überwachungskameras hätten Probleme mich zu identifizieren. Ich warte auf die Kavallerie, die Hasen vom Einrichten von Daueraufträgen abhalten will, aber nichts passiert. Keine Polizei, kein Alarm, ich hole meine Geld.

Irgendwie sind die ersten Reaktionen auf mein Outfit eher überschaubar. Schließlich bin ich doch der Osterhase, der bekannteste Hoppel der Tierwelt. Aber ich ernte nur Gekicher, klatsche ab und zu unbekannte Menschen ab – und ziehe weiter, dorthin, wo alle Ganzkörperkostümierten vor ein paar Wochen noch mächtig Spaß hatten: ins Ernst August Brauhaus, eine Bierbude, die fast jeden Abend zum Feierzentrum wird.

Ich trete ein, bestelle Bier, man schaut Fußball. Ich schlage Haken zwischen den Tischen, aber keine Reaktion. Ich hole mir noch ein Bier und ziehe weiter in den Brauhaus-Klub. Zumindest der DJ begrüßt mich. „Na Osterhase, willste ’ne Möhre?“, brüllt er ins Mikrofon. So anzüglich wurde ich selten angegraben. Ich tanze ein wenig für ihn und entdecke Bekannte. Die Band Glamazing aus Hannover verhandelt mit Brauhaus-Chef Hannes Aulich und Agenturchefin Julia Bolzek gerade das Bühnenprogramm vom Autofreien Sonntag. Ich hoppel dazu, aber so recht will mich niemand ernst nehmen – man will nur wissen, was ich drunter trage und ein wenig kuscheln. Mhh. Gar nicht so schlecht.

Aber ich ziehe weiter, denn die Begeisterung hält sich noch immer in Grenzen – und komme in eine Karaokebar namens „Hollywood“. Die hat fast jeden Tag geöffnet und es gibt Gin Tonic für den Hasen. Die Reaktionen sind sensationell. Ich lande auf etlichen Handyfotos, lasse mich streicheln und tanze ein wenig. Nur singen will mit dem Hasen niemand. Dafür verschüttet ein Dauergast auf dem Weg zur ganz großen Castingkarriere, wenn sie nur hart genug an sich arbeitet und in Karaokebars übt, mein Getränk. „Sorry, Hase.“ Singen will sie auch nicht. Ich blättere noch ein wenig allein an der Bar in den Songs, suche nach der Hymne aus der „Bugs Bunny Show“, finde sie aber nicht. Und so richtig will ich nun auch nicht mehr. Ich gehe. Die Schoko-Osterhasen, die ich den ganzen Abend schon in meinem Rucksack trage, nehme ich mit. Geht doch zum Bohlen.

Nachdem ich mir beim Hauptbahnhof noch einen Möhrensaft geholt habe („Der ist aber mit Orangensaft versetzt, ich hoffe, es ist okay, Osterhase.“), sitze ich in der Linie 10 gen Linden. Der alternative Stadtteil Hannovers ist dafür bekannt, sehr tolerant zu sein, weltoffen und herzlich. Vielleicht hat man zumindest dort ein Herz für Schlappohren. Und tatsächlich, in der Kneipe „Izarro“ wird zwar auch Fußball geschaut, aber jeder nimmt den falschen Hasen erst einmal in den Arm. Der Organisator des alternativen Fährmannsfest in Linden, Peter Holik, lässt da gern ein Erinnerungsbild mit mir machen. Wer den Osterhasen an seiner Seite weiß, kann auch Musikfestivals organisieren, klar. Ich bestelle noch mehr Bier und wundere mich spät in der Nacht. „Bezahlen brauchst du nicht, ich möchte dafür aber einen Schokohasen“, sagt die Bedienung und ich werde fast rot. Sie sieht es zum Glück nicht. Dann hoppel ich davon.

An der Limmerstraße vollziehen ein paar Nachtaktive das sogenannte Limmern. Man setzt sich dazu an die Straße, holt sich vom Kiosk Bier und schaut, was so passiert. Hasen sprechen da schlicht vom Lauern. Aber egal. Ich mach mit. An einem Kiosk hole ich mir Jägermeister, auch wenn das etwas komisch klingt. Selbst die Tierschutzorganisation PETA rief ja jüngst dazu auf, das Getränk in Waldmeister umzubenennen. Es schmeckt trotzdem und ich komme mit einem Limmeraner (oder so) ins Gespräch, der schon deutlich zu lange am Kiosk saß. Er lallt etwas von süßem Häschen, ich verstehe ihn nicht ganz. Und ich trete den Rückzug an.

In meiner Höhle denke ich mümmelnd über mein Leben als Hase nach. Schon komisch. Man kommt zwar viel rum, muss aber ständig aufpassen, nicht an den Falschen zu geraten. Und keiner will mit mir singen. Ich schäle einen Schokohasen und trinke noch einen Jägermeister. Hach, vielleicht muss ich einfach nach Island auswandern.

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