
Wow. Manchmal endet eine schöne Geschichte einfach. Hat sich einfach erledigt. Dann ist es vorbei. & weil man über Jahre einfach nach vorn geschaut hat, muss man Erinnerungen fast wie Schnipsel suchen. Weil man es nie geschafft hat, irgendwas zu sortieren. Irgendwo lagen doch die alten Flyer, die Programmhefte, die vorbereiteten Pressemitteilungen. Nun ja. Von vorn: Die Kulturbühne des Fährmannsfestes in Hannover ist vorerst Geschichte.

Okay. & was hat das mit den Beatpoeten zu tun? & ist das so ne Szenegeschichte? & waren die Chaostage schuld? Zumindest etwas. Ja. Nein. Ein Versuch der Aufarbeitung.

Am Anfang war das Wort
Bevor es die Band überhaupt gab, haben wir auf sehr unterschiedliche Weisen probiert, den Kulturbegriff zu erweitern. Jaja. Es gab andere schräge Bands, Lyrik & DJ-Kollektive mit Megafon. Zwischen 2000 und 2005 lud der Aktionskreis Offenes Mikrofon zu einem Running Mic. Pragmatischer Name. Es gab da einen Soli-Film mit oder für Holger Meins, den ich inspirierend fand. Menschen sind mit ner Fahne hinter einer rollenden Kamera hergelaufen. Den Rest bekomme ich nicht mehr zusammen. Wir beschlossen also auf einer Bierkiste in Hannover zu klettern und Texte vorzutragen. Speakers Corner auf Bier. Oder so. Schön am Kröpcke, am Hauptbahnhof, aufm Schillerdenkmal: Texte lesen. Nur ausm C&A sind wir mal rausgeflogen. Lars Ruppel, Gauner, Marlene, Mirco & viele wunderbare Menschen mehr waren einst dabei. Wulf Hühn, Hermann Beddig & Govi sind mittlerweile verstorben. Damals zählten andere Dinge: Was fehlte war eine Aftershow. Also zogen wir zum Fährmannsfest, klauten uns auf der Lindener Seite Bierbänke und sorgten für Musik, schlechte Witze & noch mehr Texte. Irgendwann baute der 2021 verstorbene Matthias Göke einen Pavillon auf und rollte Teppiche aus. Dann kam Peter Holik & errichtete eine Bühne mit Üstra-Werbung. Wir waren angekommen. 2008 lief die erste offizielle Ausgabe der Kulturbühne.

Die Kulturbühne ergänzt das Fährmannsfest
Fährmannsfest? In der Lokalpresse wurde das Festival als Woodstock an der Leine bezeichnet. Zumindest wird bis heute viel gekifft. Man kommt darüberhinaus zusammen, schaut Live-Musik und trifft mitten in der Stadt Tausende Menschen, die man sonst nur in Eckkneipen sieht. Sehr cool. Ein wenig Indie, mehr H&M-Hippie, vor allem aber meist sehr entspannte Musik. Dem wollten wir etwas entgegensetzen. Brachiales Dilettantentum. Aber von den Veranstaltenden – dem Fährmannsfest e.V. – integriert & abgesegnet. Wir setzten 2008 also auf die fiesen Handkantenschläge der abseitigen Kulturindustrie: Songwriter, Elektro & Poetry Slams. Nimm das, Nostalgie-Rock-Riege.

2008: als das Programm noch mit der Hand gemalt wurde
Im ersten Jahr spielten also zahlreiche Liedermacher, die alle überzogen. Am Ende legte die Maximal Gang auf, die mit Costa einen agilen Frontmann dabei hatte. Der Regen sorgte aber dafür, dass alles ins Wanken geriet. Menschen deckten Monitorboxen mit ihren Körpern ab. Gelbe Säcke schützten das Mischpult. Die Bühne wackelte bedrohlich, als Gäste dort Schutz suchten. Puh. Es war alles zu laut, zu spät, zu gefährlich. Aber uns war klar: das machen wir nochmal.

Kenn ich nicht. Aber gut. Sehr gut!
Wir wollten auf der Bühne aber nicht nur stilistische Lücken füllen. Wir wollten auch zeigen, dass wir uns voll dufte auskennen. & haben jedes Booking gefeiert, dass später auch auf der Hauptbühne gelandet ist. Liedfett? Hat 2012 schon auf der kleinen Bühne gespielt. Spielvereinigung Linden-Nord? 2013. Und ja, das Lumpenpack war 2016 auch da. Wir haben Parasite Single geliebt. & fanden die Show von Prada Meinhoff ziemlich cool. Aber noch schöner fand ich die persönlichen Fanboy-Momemte.

Freunde beim Festival
& ja, da waren Alte Schule Masthorn, Chaoze One, The Fuck Hornisschen Orchestra, Das Neue Nichts, Akktenzeichen, Coca Candy, Status Wo?!, Käptn Blauschimmel & die Süßwassermatrosen. Bands, die man vielleicht nicht gleich kannte. Aber die ich irgendwann ins Herz geschlossen habe. Keine Ahnung, wo man sich jetzt genau getroffen hat. Aber es passte. & ich habe die Momente in den Pressekonferenzen geliebt, wenn man Namen wie Filipe D’Accord, Saufziege & Max Stramm aufsagen durfte. Überhaupt: danke Künstler Norwin für wirklich viele schöne & abseitige Momente. Die Dudelsäcke hatten gefehlt.

Auf der Bühne: Ja, auch Hannover
Die Kulturbühne war wie die Hauptbühne schnell zum Klassentreffen von Szenen geworden, aus dessen Umfeld immer neue Bands entstanden. Ich erinnere mich gut an 11is, Nox & Selina Dos Santos, Modell Bianka, TLR, Hemden, Kasimir Effekt, Brazzo Brazzone, U3000, Beatbar & Goldkind. Aber auch Solokünstler wie Yunus, Wieland, Der Kleine Fisch. Das hatte Charme und war doch immer irgendwie aufregend. Heimspiel ist manchmal gar nicht so einfach.

Was ich gehasst habe
Durchgebrannte Kabel. & ja, selbst schuld, wenn wir die Umbauzeiten so eng planen. Aber ich finde auch lange Soundchecks langweilig. Ansonsten: die Kommunikation nach dem Tod von Paul. Die Internetdebatte um kostenloses Wasser. Und: Stumpen. Ja, die anderen Bands haben 30 Minuten Delay eingespielt. & ja, da muss dann ne Pointe weg. Ärgerlich. Aber nicht zu ändern. Dann aber gar nicht auftreten, ausm Backstage Kisten voller Getränke wegschleppen & die Crew anpissen. Joah. Profis, wa?!

Programm: Lass machen
Inklusive Modenschau, spontane Tanzeinlagen, Schlägerei beim Poetry Slam, afrikanischer Morgengruß für Kinder, Song-Gong-Show, bei der Liedzeilen wie Gedichte aufgesagt werden müssen: wir durften immer machen. Das war oft ziemlich cool. Allein die zwölf Open Air-Poetry Slams haben sehr viel Spaß gemacht & waren gerade in den Anfangsjahren schon schön schräg. Sieben Minuten Tütenkreisen zu bewerten, war nicht soo einfach. Am Ende saßen da mehr als 1500 Leute. Puh. & der Tedi hat gut an unseren Preisen verdient. Dafür: danke. Auch schön die jährlichen Auftritte der Eisbrecher, der Band der hannoverschen Werkstätten. Ich kann mich auch an den Auftritt einer blinden Trommelgruppe erinnern, deren Instrumente wegen Regens kurz weggestellt wurden. & plötzlich fragt da jemand, ob wir die Trommeln gesehen hätten. & wir waren ziemlich irritiert & langsam. Nun ja.

Crewlove
Danke überhaupt auch der Crew. Von den ersten Technik-Leuten wie Ben, Jannik & natürlich Holgi. Bis zur Exposive-Mannschaft. Danke den liebsten Menschen im Bauwagen (ihr seid gemeint), Peter fürs Aushalten, den tapferen & unermüdlichen Kinderfest-Helden und Heldinnen (Hallo, Nadine & Lukas ua.), der Märchenerzählerin B., den Backstage-Zapferinnen K. & Puschel. Keine Klarnamen. Danke Euch. Ihr werdet fehlen.

& was war jetzt mit den Beatpoeten?
Die haben da 2008 auch mal gespielt. & später auf der Hauptbühne. Aber natürlich wars im kleinen Rahmen schöner. So bleibt die Legende stabil.

& nu?
Es war wirklich spannend, den Umbruch vom einstigen Rocker-Fest mit übertriebenen Ausfallschritten zu erleben, den Wandel vom Fährmann, bei dem einst noch diskutiert wurde, ob man Hip-Hop-Bands überhaupt auftreten lassen kann. Maximal beim Familienfest am Sonntag. Da gab es noch Mittelalterrock und Gothic-Abende. Puh. Es wurde in meinen Augen Jahr um Jahr vielfältiger. & das war gut so. Zugezogen Maskulin, Großstadtgeflüster, Schnipo Schranke? Früher vielleicht undenkbar. Nun genau richtig.

& insgesamt? Ich habe nun am ersten August-Wochenende frei. & freue mich auf Team Scheiße. Es ist schade, dass der wirtschaftliche Druck – gerade nach zwei Jahren Pandemie – auch regionale Festivals belastet. & die abseitigen Experimentierflächen dann schmaler ausfallen. Ich drück Dirk & dem Hauptbühnenteam die Daumen für den Neustart. Wird. & ich werde nen Becher schmeißen, wenn es um den guten Zweck geht. &: Als Anwohner ruf ich natürlich die Polizei. Oder Karl Nagel. Sonst wird es zu spießig. Adieu.

PS: Ja, als wir damals im Kompott in Chemnitz auftraten, sorgte ein netter Musiker für unseren Sound, musste aber früher weg. Er müsse ein Demo aufnehmen. Egal. Wir haben gespielt und später das Demo gehört. Wollte die Band danach sofort einladen. Wir hatten aber nur 800 Euro statt 1000 Euro. Schade. Kraftklub wurde dann doch etwas bekannter ..
egge
